Geschichte, Magie & Mythologie

Ich finde es überaus spannend, wie schon die alten Kelten und Germanen mit den Pflanzen ihrer Umgebung umgegangen sind und was sie über sie wussten und glaubten. Lange verloren gegangenes Wissen, was in der heutigen Zeit wiederbelebt und neu entdeckt werden möchte. Nicht nur dass sie sich von den wildwachsenden Pflanzen ernährten, sie kamen auch zu verschiedensten Anlässen zum Einsatz. So wurden sie beispielsweise in Ritualen verwendet, die Reichtum, Glück und Fruchtbarkeit bringen sollten, aber auch Verfluchungen und böse Zauber umkehren konnten. Altes Wissen aus längst vergangener Zeit.

Nachfolgend könnt ihr so einiges über eine meiner Lieblingspflanzen lesen, den Beifuß. Der Beifuß ist eine unserer ältesten schamanischen Wildpflanzen und seine Anwendungsgebiete so breit gefächert, dass man tagelang über nur diese eine Pflanze referieren könnte. Einzigartig, spannend und interessant. Ein Beispiel von vielen, dass sich auch ein Blick in die Magie und Mythologie der Wildpflanzen, eine Zeitreise in der Geschichte, immer absolut lohnt.

“Erinnere Dich, Beifuß, was du verkündest, was du anordnest in feierlicher Kundgebung, Du, das älteste aller Kräuter, du hast Macht gegen 3 und gegen 30, du hast Macht gegen Gift und Ansteckung, du hast Macht über das Übel, das über das Land dahinfährt.” (Neunkräutersegen)

Hans Schöpf, Volksmagie: vom Beschwören, Heilen und Liebe zaubern, Graz; Wien; Köln, 2001, S.63

Beifuß wurde in früheren Zeiten auch Marta Herbarum genannt, was so viel bedeutet, wie die Mutter aller Heilpflanzen und Kräuter. Deshalb hat er viel mit Frauen und heilenden Ritualen zu tun. Von seinem botanischen Namen können wir schon Artemis ableiten. Artemis (manchmal auch als Diana bekannt) war in der griechischen Mythologie die Göttin der Jagd, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder. Sie zählt zu den zwölf großen olympischen Göttern und ist damit eine der wichtigsten Gottheiten der griechischen Mythologie. Demzufolge war im antiken Raum klar, dass der Beifuß der Göttin Artemis zugewandt ist.

Artemis half nicht nur den Frauen und Kindern, sondern erschien besonders in Übergangssituationen. Sie half ihrem Zwillingsbruder Apollon (Gott des Frühlings, des Lichts, der Heilung, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung, der Künste und der Bogenschützen) auf die Welt, weshalb man von ihr sagte, sie sei die erste Hebamme. Demnach war es ein starkes Symbol, dass jemand der Sonne auf die Welt half und so steht der Beifuß mit ihr in enger Verbindung.

Als altes Hebammenkraut wurde der Beifuß oft genutzt, um die Menstruation der Frauen zu regulieren. Hierbei soll der rote Überzug des Stängels die Mensis symbolisieren. Für die Hebammen ist es ein Kraut, dass den Unterleib erwärmt. In den frühen Phasen des Zyklus soll er die Fruchtbarkeit anregen, in den späteren Phasen die Menstruation.

In einer Abkochung wurde zu bestimmten Phasen der Geburt etwas davon getrunken, um den Geburtsvorgang zu beschleunigen, aber auch, dass sich nach der Entbindung die Plazenta besser lösen kann. Auch das Wochenbett wurde mit Beifuß ausgelegt und ringsum wurde mit Beifuß gestreut. Da die Hebammen um seine Wirkung wussten, hatten sie ihn stets dabei.

Schon die mittelalterlichen Hebammen benutzten das Beifußkraut zur Förderung der Geburt oder Nachgeburt. Auch den kalbenden Kühen wurde es zu diesem Zweck eingeflößt. In einer Klosterhandschrift aus dem 14. Jahrhundert heißt es: „Wenn eine Frau im Wochenbett liegt, nimm Artemisiam und binde es auf ihre Leiste.“ Der Kräuterarzt Otto Brunfels (Otto Brunfels war ein deutscher Theologe, Humanist, Arzt und Botaniker. Zusammen mit Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs zählt er zu den „Vätern der Botanik“. 1534) verschreibt eine Abkochung als Sitzbad für Unfruchtbare, da es den Uterus reinigt, entspannt und wärmt.

Das bittere Kraut mit der Fähigkeit den Unterleib zu entkrampfen und zu erwärmen, war das erprobte Mittel gegen Nestelknüpfen (angezauberte Impotenz) und Schoßschließen (angezauberte Frigidität). In beiden Fällen handelt es sich um einen sogenannten Bindezauber. Beim Nestelknüpfen etwa verknotet eine Hexe heimlich die Nestel (die Schnürriemen) der Hose des Bräutigams und wirft diese mit einem Fluch in ein fließendes Gewässer. Der Beifuß hat die Macht, diesen Bindezauber wieder zu lösen.

Zum gleichen Zweck wurde es in Bier gekocht und getrunken. Eierstockentzündungen wurden mit Beifuß- Bädern kuriert. Um die Periode anzuregen gibt Tabernaemontanus (deutscher Arzt und Apotheker sowie Professor für Medizin und Botanik 1588) den Ratschlag: „Wenn eine Weibsperson ihre Monatsblum nicht recht hat, die nehm eine handvoll Beifuß, lass den in einer halben Elsässer Maß Weins den drittenteil einsieden und trinke davon Abends und Morgens, jedes Mal einen guten Becher voll warm…“

Der Beifuß ist eine uralte Schamanenpflanze, seine Blüten haben einen Kampferartigen Duft und wurden gesammelt, um sie für Räucherzeremonien zu verwenden. Es heißt, dass durch das Räuchern mit Beifuß die oberen Chakren geöffnet werden, sodass man wacher und empfänglicher für geistige Eingebungen wird.

Laut ethnobotanischer Forschung wurde Beifuß schon in der Steinzeit zum Räuchern verwendet, weshalb er also auch die älteste Schamanenpflanze ist. Im heutigen Iran wurden Gräber entdeckt und geöffnet, die zwischen 50000 und 60000 Jahre alt sind und anhand von Pollenanalysen wurde festgestellt, dass schon zu dieser Zeit die Toten auf Beifuß gebettet wurden. Auch für die Kelten, Germanen, Slaven und Balten, war der Beifuß als heilige Pflanze von großer Bedeutung.

Für die alten Germanen war Beifuß die mächtigste aller Pflanzen. Sie nannten ihn Mugwurz, was so viel wie Machtwurz bedeutet. Ein alter Brauch besagt, dass man sich einen aus Beifuß geflochtenen Gürtel umlegen soll, damit um das Sonnenwendfeuer tanze, um anschließend diesen Gürtel im Feuer zu verbrennen. Auf diese Weise sei man vor allem Bösen geschützt und es beschere einem Gesundheit für ein Jahr.

Die Walas und Weledas (Seher/innen) bei den alten Germanen haben sich zur Sommer- und Wintersonnenwende mit Beifuß eingerieben oder damit geräuchert, bzw. auch mit dem Kraut umgeben, was den Flug der Seele in die geistige Welt und andere Dimensionen erleichtern sollte. Die Ureinwohner Amerikas verwandten ihn auf dieselbe Weise. Beim Sonnentanz in der Sommerzeit, wenn sie sich an Pfähle banden, um sich in tiefe Trance zu tanzen, werden sie zuvor mit Beifuß geweiht. Heilige Stätten und Plätze werden mit Beifuß ausgelegt, denn es heißt, dass er die bösen Geister vertreibt.

Bei den Kelten und Germanen wurde der Seelenflug mit dem Flug der Gänse verglichen, woraus der Brauch der Martinsgans oder Weihnachtsgans entstand. Die Weihnachtsgans wurde immer zur Wintersonnenwende gegessen und mit Beifuß zubereitet, was ein kultisches Essen darstellte. Es ist ein Ritual, um den Gottheiten zu danken.

In Sibirien sind Beifuß Arten, insbesondere Artemisia vulgaris Teil von schamanischen Seancen.

Bei den nächtlichen Heilzeremonien der nepalesischen Schamanen, ist immer ein Strauß Beifuß dabei, auch wenn vielleicht gerade nicht mit ihm geräuchert wird. Für sie ist es eine heilige Pflanze, weil seine dreizackigen Blätter wie das Dreizack  Shivas (Shiva gilt auch als Gott der Asketen, der auf seinem Berg Kailash in tiefste Meditation versunken verharrt.) aussehen und Shiva ist für sie ein Gott, wie Odin bei den Germanenvölkern. So ist also der Beifuß bei den Schamanen dort Shiva geweiht.

Beifuß und Räuchern

Wie bereits erwähnt wird also der Beifuß bei Räucherungen eingesetzt und dient uns für Reinigungsrituale und Übergangssituationen. Geerntet wird er hierfür im Herbst von Oktober bis November, wenn die Pflanze selbst schon im Übergang ist. Hierfür werden entweder die Blütenstände abgestriffen und  getrocknet oder es werden kleine Zweige und Zweiglein geerntet, die zu einem Bündel geflochten werden. Dieses kann man zusätzlich mit Bast umwickeln und ebenfalls zum Trocknen Aufhängen. Man sollte das Kraut nicht zu dicht flechten, da es sonst später schlecht räuchert.

Geräuchert wird mit Beifuß beispielsweise bei Sterbeprozessen, wenn die Seele den Körper verlässt, aber auch bei der Geburt, wenn sich die Seele im Körper manifestiert. Er ist das beste Räuchermittel, für alles für wo wir uns Veränderung und Transformation wünschen, so auch bei schädlichen Gedanken oder Gemütszuständen.

Der Beifuß ist die letzte Pflanze im Jahreskreis, die wir ernten können und so hilft sie uns auch in der dunklen Jahreszeit. Räuchern wir unser Heim mit ihr, können wir dieses reinigen und es wird gesagt, dass diese Pflanze so die bösen Geister vertreibt.

Alle Beifuß- und Edelrauten- Arten sind magische Kräuter, die nicht mit Hexen in Verbindung gebracht werden sollen, sondern ausschließlich weißmagisch verwendet wurden. Als Räuchermittel verwendet, stellen sie einen wirksamen Schutz gegen alle Mächte der Finsternis dar. Es wurde gesagt, wer den Beifuß im Haus hat, dem kann der Teufel nichts anhaben. Seine Zweige dienten im Altertum für die Herstellung von Liebeszaubern. Auch dabei wurde mit Beifuß geräuchert, was eine euphorische und stimulierende Wirkung hervorrief.

Auch von den Druiden (Die Druiden waren eine kultische und geistige Elite in der keltischen Gesellschaft und Mythologie.) wurde das Beifuß Kraut als Räucherpflanze verwand. So erlaubte sie dem Druidenarzt in andere Welten zu reisen, um dort herauszufinden, welche Disharmonien zwischen dem zu behandelnden, der Natur und dem Kosmos zu dem identifizierten Leiden geführt haben. Auf diese Weise fanden sie ebenso heraus, wie sie das entsprechende Geistwesen besänftigen und den Patienten wieder in Einklang mit seiner Umwelt bringen konnten.

Der Sonnenwendgürtel

Am 21. Juni erreicht die Sonne, unsere große Lebensspenderin, ihren höchsten Stand. Die satte, grüne Natur, gebadet in lichtdurchfluteter, balsamischer Wärme, träumt ihre schönsten Träume. Zwölf Tage lang, wie auch in der anderen Jahreshälfte zur Wintersonnenwende, wird die Sonne stillstehen, ehe sie langsam weiterwandert. Zwölft Tage lang träumte und feierte das Landvolk mit, von dem wunderbaren Naturgeschehen ergriffen. Heilkräftige und zauberwidrige blühende Kräuter – Hartheu, Arnika, Kamille, Frauenmantel, Wucherblumen – wurden gesammelt und geweiht.

Auf den Höhen loderten während der kürzesten Nacht riesige Freudenfeuer. Es wurde musiziert, getrunken, gescherzt und die Feuer im Reigen sonnenläufig (im Uhrzeigersinn) umtanzt. In heidnischen Zeiten entledigten sich die Tänzer ihrer alltäglichen Bekleidung, sich umgürteten sich mit Beifuß Zweigen und flochten Blumen und Gundermannkränze ins Haar. Man verschmolz mit der „anderen“, der magischen Wirklichkeit und hatte Teil am göttlichen, kosmischen Geschehen. Einander fest an den Händen haltend, sprangen Liebespaare durch die lodernde Lohe in die zweite Hälfte des Jahres hinein. Oft verbrachten sie die Nacht unter freiem Himmel, auf ein Liebeslager aus Beifuß und duftenden Johanniskräutern gebettet, denn auch dieses Fest diente dem Leben und der Fruchtbarkeit.

Der aus Beifußwedeln geflochtene Gürtel wurde schließlich in die Glut geworfen. „Es gehe hinweg und werde verbrannt mit diesem Kraut all mein Unglück!“, sprach man dazu und meinte, dass mit ihm alle Unreinheiten verbrennen und auch alle angezauberten Leiden und Krankheiten.

Ursprünglich gehörte der Sonnenwendgürtel dem archaischen Donnergott. Das Mittsommerfest – zu einer Jahreszeit in der sich häufig starke Gewitter entladen – war nicht nur ein Fest der Sonne, sondern ebenso das Liebesfest der Erdgöttin und ihres Gefährten, des Gewittergottes. In der germanischen Mythologie spielte der rotbärtige Donnerer, dessen Blitzschlag die Scholle befruchtet und heiligt, in der Sonnenwendzeit eine wesentliche Rolle. Er besaß einen Machtgürtel, den „Megin- gjarder“, den ihm die Zwerge aus Beifußruten gewoben hatten. Mit diesem Gürtel konnte er seine Kraft verdoppeln, seine erotische wie auch die Kraft die er brauchte, um lange Abenteuerreisen und Kämpfe mit Ungeheuern zu bestehen.

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