Die goldenen Zapfen der Sieben Fichten
Auf der Kirkeler Burg lebte einst ein alter Förster. Er verließ sehr oft in den Abendstunden die Burg und kam erst spät in der Nacht wieder zurück. Das war einem Forstgehilfen aufgefallen. Er wollte herausfinden, wohin der Förster ging, und so schlich er ihm eines Nachts heimlich nach.
Der Förster schritt, ohne nach rechts oder links zu schauen, Wald einwärts. Immer dichter rückten die Bäume zusammen. Da blieb der Alte stehen, zog mit dem Stock einen Kreis und murmelte einige unverständliche Worte. Aus einem Versteck schaute der Gehilfe dem sonderbaren Treiben zu. Auf einmal rauschte es in den Wipfeln, und ein Männlein mit einem eisgrauen Bart stand in dem Kreis. Mit grabestiefer Stimme fing es an zu reden: „Sieben Jahre habe ich dir gedient. Morgen aber wird deine Seele zur Hölle fahren, wie wir es abgemacht haben. Heute will ich dir deinen letzten Wunsch erfüllen.” Ganz ruhig erwiderte der Förster: „Schon gut. Wenn ich dir jedoch eine andere Seele beschaffe, bin ich dann wiederum sieben Jahre frei?” – “Genau so habe ich es unterschrieben.”
Der Förster lachte und stieß den Stock in den Boden. „So wünsche ich, dass genau an dieser Stelle sieben Fichten mit goldenen Zapfen wachsen.” Kaum hatte er die Worte gesprochen, so schossen sieben schlanke Fichten aus dem Boden. Ihre Zweige waren über und über beladen mit goldenen Zapfen. Während das Männlein plötzlich spurlos verschwunden war, pfiff der alte Förster zufrieden durch die Zähne und entfernte sich, ohne einen Zapfen anzurühren.
Nun sprang der Gehilfe aus seinem Versteck und kletterte auf einen der sieben Bäume. Hastig griff er nach den goldenen Zapfen und stopfte sie in seine Taschen.
Kaum hatte er den Gipfel erreicht, als ihn der Ast nicht mehr trug und unter seinen Füßen brach. Ein angstvoller Todesschrei erscholl, dann war es still. Am nächsten Morgen fanden Holzhauer die Leiche inmitten eines Berges gewöhnlicher Fichtenzapfen. Niemand wusste, was das zu bedeuten hatte. Nur der Förster hätte es sagen können, aber er schwieg.
Bis auf den heutigen Tag verwandeln sich die Zapfen der Siebenfichten alle sieben Jahre in pures Gold, und wer sich in dieser Nacht gerade dort aufhält, der wird ein reicher Mann für sein Leben lang.
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gefunden von Rudi Kleinpeter
Textquelle: Informationstafel bei den (real existierenden) Sieben Fichten zwischen Blieskastel-Bierbach und Kirkel im Saarpfalz-Kreis
Warum die Bäume nicht mehr sprechen können
Vor langer Zeit sprachen nicht nur die Menschen und die Tiere, sondern auch die Bäume. „Wie schade, dass ihnen ihre Stimmen nicht bis zum heutigen Tag geblieben sind!“ denkt ihr sicher, und das denke ich auch.
Aber für die Menschen damals war es nicht leicht, denn brauchte jemand eine Gerte oder brach jemand einen Ast ab, so klagte der Baum, dass es durch den ganzen Wald hallte. Und ganz schlimm wurde es, wenn ein Baum gefällt werden sollte. Da begann er herzzerreißend zu jammern und zu bitten und die anderen Bäume jammerten und baten mit ihm.
Das verdross die Menschen schließlich. Sie gingen zur Sonne und sprachen: „Du hast die Bäume geschaffen, damit wir Tische und Betten zimmern, damit wir Häuser und Boote bauen können. Aber du gabst ihnen auch die Sprache, und so dürfen wir nicht das kleinste Ästchen abbrechen, ohne dass sie ein großes Geschrei anstimmen.“
Aber die Sonne hörte gern zu, wenn die Bäume leise sangen, und so gab sie nichts auf die Worte der Menschen. Doch eines Tages geriet die Sonnte selbst in Zorn über die Bäume. Und das kam so: Als sie die Blätter an die Bäume verteilt hatte, waren alle zufrieden gewesen, nur die Fichte, die Tanne und die Kiefer nicht. Sie hatten feine, spitze Nadeln bekommen und die Nadeln fielen im Herbst auch ab, wie die Blätter bei den anderen Bäumen. Die Fichte, die Tanne und die Kiefer sagten zur Sonne:
„Diese feinen, spitzen Blätter mögen wir nicht. Gib uns andere, solche, wie kein Baum auf der Welt sie hat.“
Die Sonne erfüllte ihnen die Bitte, sie bekamen Blätter aus reiner Seide. Doch der Stolz der drei Bäume währte nicht lange, denn bald waren die seidenen Blätter vom Regen völlig aufgeweicht und so beklagten die Fichte, die Tanne und die Kiefer sich abermals bei der Sonne.
„Der Regen hat unsere seidenen Blätter verdorben“, sprachen sie. „Gib uns bessere!“
Da schenkte die Sonne ihnen Blätter aus reinem Kristall. Aber schon bald darauf zerbrach der Wind die kristallenen Blätter, und die Tanne, die Fichte und die Kiefer wandten sich erneut an die Sonne.
„Der Wind hat unsere Blätter zerbrochen“, sprachen sie. „Gib uns bessere!“
Da wurde die Sonne böse. Sie gab den Unzufriedenen ihre alten Nadeln wieder. Nur eines gestand sie ihnen zu: Die Nadeln fielen fortan im Winter nicht mehr ab, und Regen und Wind konnte ihnen nichts anhaben.
Damit aber keiner sich je wieder bei ihr beklagen konnte, nahm die Sonne der Tanne, der Fichte, der Kiefer und allen anderen Bäumen die Sprache. Nur ihren Gesang ließ sie ihnen. Wir hören ihn noch heute – wenn der Wind über die Wipfel streicht.
(Indianermärchen)
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