Die Rau(ch)nächte

Das Julfest, die Wintersonnenwende und damit die Geburt des Sonnenkindes, wurde schon bei den alten Germanen gefeiert. Die tiefste Nacht des Jahres, nämlich die Nacht der Wintersonnenwende, stellt zeitgleich den Zenit der Herrschaft Samains dar. In dieser Nacht, so heißt es gebiert die Göttin tief in der finsteren Erde in der stillsten aller Stunden das wiedergeborene Sonnenkind. Die britischen Kelten schmückten ihre Häuser vor allem mit Mistel, Stechpalme und Efeu, auf dem Festland wurde hierfür Tannen- und Fichtengrün benutzt. Der Asche des Julfeuers wurden heilende Kräfte nachgesagt und so wurde sie auf die Felder gestreut, um diesen Fruchtbarkeit zu verleihen.

Am Vorabend des letzten der Zwölf Tage, wurde ein großes Fest gefeiert, welches Wassailing genannt wurde. Die Dorfbewohner umtanzten bei diesem Fest ihre Obstbäume und übergossen sie mit Bier. Ebenso wurde das Vieh bedacht, besonders die Stiere und so wurde auch auf sie getrunken. An diesem Tag wurden Kuchen gebacken, in die man eine Bohne steckte. Derjenige, der das Stück mit der Bohne bekam wurde zum Bohnenkönig ernannt.

Während dieser festlichen Zeit traten maskierte Hirschtänzer auf. Sie trommelten und stampften mit ihren Tanzschritten die Botschaften an die Erdgöttin und den Hirschgott Cernunnos, welcher in der Tiefe das Leben erneuert. Dieser Gott erscheint noch heute zur Wintersonnenwende als Nikolaus oder Samichlaus mit seinem Hirsch oder einem von Hirschen oder Rentieren gezogenen Schlitten. Das amerikanische Weihnachtslied „Rudolph the red- nosed Reindeer“ erinnert an diesen Mittwinterkult.

Bei den Germanen wurden die Nächte zwischen dem 21. und 25. Dezember, die Mütternächte bezeichnet und erstmalig 725 nach Christus von Beda Venerabilis, einem angelsächsischen Theologen und Geschichtenschreiber erwähnt. Die Mütternächte waren den Frauen und der Mutter Erde gewidmet. So wie die Kinder aus dem Schoß der Frauen geboren werden, so wachsen auch die Pflanzen aus dem Dunkel der Erde.

Die Wintersonnenwende gehört nicht zu den keltischen Hochfesten, sondern hat ihren Ursprung in den germanischen Kultkreisläufen. Es gab also durchaus Unterschiede zwischen den germanischen und den keltischen Festen. So entspricht der 21. Dezember dem Jul- Fest, welches die Germanen zwischen der Sonnenwende und Anfang Februar feierten. Zu diesem Fest, wie zu anderen Festen auch wurden die Feuer im Haus und auf dem Hof gelöscht, um dann vom gemeinsam entzündeten Ritualfeuer einen glühenden Scheit zu holen und die Feuer neu zu entzünden.

Es ist eine Zeit, in der die Tage langsam wieder länger werden, das Licht noch gegen die Dunkelheit kämpft, letztendlich aber siegen wird.

Die Rauhnächte, auch Rau- oder Rauchnächte, mancherorts auch als Innernächte, Glöckelnächte oder Unternächte genannt, bezeichnen die Nächte um den Jahreswechsel und ihnen kam schon in alten Zeiten eine besondere Bedeutung zu.  Es sind die Nächte Odins (Wotans), des Göttervaters, der mit seinem Pferd Sleipnir, seinen Raben Mugin und Munin („der Gedanke und die Erinnerung“) und seinen beiden Wölfen Geri und Freki („der Gierige und der Gefräßige“) über das Land sauste. Diese Nächte waren erfüllt vom Brausen des Sturmwindes, vom Heulen der Wölfe, vom Wiehern der Rösser und dem Wehklagen der Walküren, eine Zeit, in der jede Tätigkeit zu ruhen hatte. Odin und sein Gefolge wurden begleitet von Frau Holle, die mit Freya oder Frigg und auch der Göttin Hel gleichzusetzen ist. In den Gegenden der Alpen entspricht Frau Holle der Wintergöttin Berchta (Perchta), welche in heutiger Tradition noch immer bei den Perchtenläufen namensgebend ist.

Als Anführer des Totenheeres saust Odin (auch Woutan, Wode, Heiljäger, Hackelbernt usw.) mit seinem Gefolge in bedrohlicher Wildheit und Aggressivität auf Sleipnir durch die Lüfte. Wer die „wilde Jagd“ beobachtet, der wird von ihr erfasst und mitgerissen. Einzig diejenigen, die ihren Blick abwenden, sich auf die Erde werfen und festklammern, bleiben von der Macht des wütenden Heeres verschont und können nicht fortgetragen werden. Theoretisch wäre es möglich, dass aus diesem alten Glauben heraus die Germanen die Gräber ihrer Toten mit Steinen beschwerten, sodass die Seelen der Verstorbenen ihre Ruhe finden und die Körper an diesem Ort verbleiben konnten, ohne von der „wilden Jagd“ mitgerissen und fortgetragen zu werden. Einer alten Legende nach zieht sich das Heer zum Ende der Rau(ch)nächte zum Gelage in die Berge zurück und die Winde beruhigen sich, bis sie schlussendlich völlig verstummen.

Man konnte Odin, Frau Holle und all ihre Gefährten aber auch gnädig stimmen, in dem man ihnen Opfer darbrachte und sie am „Weihnachtsessen“ teilhaben ließ. So wurden Opfergaben vor die Tür gestellt oder Milch, Käse, Brot, Bier, Mehl und andere Dinge unter den Obstbäumen, besonders aber unter dem Holunder hinterlegt. Auch wurde für die Ahnen ein Platz am Tisch mehr gedeckt und so konnten auch diese teilhaben am Essen in jener festlichen Zeit.

Zum Jahreswechsel treffen unzählige keltische und germanische Mythen auf christliche Bräuche, doch auch heute ist das alte Brauchtum der Germanen und Kelten noch fest verwurzelt. In der Zeit zwischen den Jahren, in den Raunächten, so sagte man, öffnet sich das Tor zwischen dem Diesseits und der „Anderswelt“. Da diese Grenzen zwischen der „Anderswelt“ und der Welt der Menschen nun nicht mehr verschlossen waren (so glaubte man), können rastlose Seelen, Geister und Hexen, ja selbst der Teufel und andere schaurige Wesen auf der Seite des Menschlichen ihr Unwesen treiben.

Um diese Zeit sollten die Menschen lieber nicht den Unwillen der Geister heraufbeschwören und so hat jegliche Arbeit zu ruhen und sogar die Wäsche aufzuhängen war verboten. Hängt jemand zu dieser Zeit weiße Wäsche auf, muss er damit rechnen, dass sich Frau Holle die Wäschestücke greift und sie in Leichentücher verwandelt, was zur Folge hat, dass jemand im Haushalt stirbt.

Die Rituale und Bräuche der Raunächte sind auch in der heutigen Zeit noch vereinzelt zu finden, was zum Beispiel das Blei gießen, den Schornsteinfeger, das Glücksschwein oder auch das vierblättrige Kleeblatt angeht. Uns ist der Zugang zu alten Mythen, Legenden und Geschichten, vor allem aber zu übernatürlichem und dem unerklärlichen längst verloren gegangen. Dennoch erfreut sich das Brauchtum der Raunächte zunehmend wachsender Beliebtheit insbesondere, wenn es ums Räuchern mit Kräutern und Harzen geht. In früheren Zeiten veranstaltete man ohrenbetäubende Umzüge, um das alte Jahr zu verabschieden und das neue zu begrüßen. Auch davon ist ein kleiner Teil übriggeblieben, denn zu Silvester wird geböllert, was das Zeug hält.

Die Vorstellung der „wilden Jagd“ ist auch heute noch in ländlichen Gegenden der Alpen zu finden, in der sich die Percht und die Perchtenläufe oder Perchtenumzüge immer noch größter Beliebtheit erfreuen und angeknüpft an alte Traditionen bis heute erhalten geblieben sind. Die Raunächte sind in den Bergen noch ein lebendiger Brauch, dessen Ursprung in alten, längst vergessenen keltisch- germanischen Zeiten zu finden ist.

Die Herkunft der Raunächte ist dennoch wissenschaftlich bis heute nicht ganz geklärt und die alten Traditionen werden in dieser Form kaum noch gelebt. Dennoch ist es auch für uns moderne Menschen eine Zeit, in der wir uns zurückziehen können, uns besinnen können und vielleicht auch das ein oder andere Ritual wieder in unseren Alltag integrieren können, um neue Kraft zu schöpfen, unsere Dämonen und Schatten anzusehen, uns von altem zu verabschieden und neues zu begrüßen. Innehalten, sich auf sich selbst rückbesinnen, achtsamer werden und bei sich selbst, seinen Vorstellungen und Zielen ankommen.

Zu Jul beziehungsweise den Weihenächten, bekommen wir die Möglichkeit alles hinter uns zu lassen, was nicht mehr zu uns gehört. In den Raunächten oder der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester entsteht ausreichend Zeit und Raum, um die neuen Vorsätze für das kommende Jahr kreieren und zu formulieren. Symbolisch können die Geister der Raunächte alles mitnehmen, von dem sich die Menschen getrennt haben.

Aber warum 12 Nächte? Die Erklärung liegt ebenfalls bei den alten Germanen. Nach dem germanischen Kalender gab es immer einen Wechsel von Mond- und Sonnenjahr. Das Mondjahr hatte demnach 354 Tage und das Sonnenjahr 365 Tage. Daraus ergibt sich dann eine Differenz von 11 Tagen und eben zwölf Nächten, den Raunächten. Diese gelten als „tote Zeit“ oder auch als die Zeit zwischen den Jahren.

Aufgrund der vermeintlichen Gefahren, durch die umherziehenden Geister und Götter, aber auch wegen der klirrenden Kälte und der tobenden Winde zu dieser Zeit, zogen sich die Menschen in ihre Häuser zurück, um zur Ruhe zu finden und zum Wesentlichen zurückzukehren. Auch die Ahnen sollten den Festen und Riten beiwohnen und durch das Räuchern mit Harzen und Kräutern, fand man Zugang zu ihnen und der Anderswelt. Zur Anwendung kamen hierfür unter anderem Weihrauch, Wacholder, Myrrhe, Beifuß, Tannen- oder Kiefernharz, welche das Haus und den Hof, sowie auch die Familie und das Vieh vor drohendem Unheil schützen sollten.

Der Ablauf des Räucherrituals war einfach. Die ganze Familie, angeführt von Vater oder Großvater, andernfalls auch Großmutter (da die Frauen für das Sammeln der Kräuter zuständig wären und sich auch mit ihrer Verwendung auskannten) zogen mit einem Räucherbündel oder glühendem Holz, auf dem die Kräuter verräuchert wurden, durchs Haus. So wurde Zimmer für Zimmer begangen und zum Schluss auch Hof und Stall.

Ferner gelten die Raunächte als Zeit des Orakelns. So besagt ein alter Brauch aus dem 19. Jahrhundert, dass unverheiratete Frauen um Mitternacht an einer Wegkreuzung oder einem anderen magischen Ort, ihren zukünftigen Liebsten zu sehen bekommen würden. Seine Gestalt könne ihnen in dieser Nacht erscheinen und vorüberziehen, würden sie sich aber zu dieser umdrehen oder sie gar ansprechen, so würde das für sie der Tod bedeuten.

Auch Gänsemägen sollten befragt worden sein, ob das nächste Jahr fruchtbar würde oder nicht. Heutzutage findet sich diese Tradition in Form des Blei gießens, wo auch so einiges zusammen „orakelt“ wird.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember wurde früher von der Lüttenweihnacht gesprochen, der Tier- Weihnacht. Dem Aberglauben nach sollte es in dieser Nacht den Tieren möglich sein die menschliche Sprache zu sprechen und die Zukunft vorherzusagen. Doch wird sich niemals ein Zeuge für dieses Ereignis finden lassen, denn jeder der diese Stimme der Tiere vernimmt, stirbt unmittelbar danach.

Die Raunächte gelten als Zeit der Mythen, Legenden und Märchen, der Geister und Hexen, der Dämonen und Krieger, der Träume, des vergangenen und der neu werdenden Zeit. Sie schließen die Lücke zwischen dem Sonnen- und dem Mondkalender. Auch uns laden sie zu Rückbesinnung auf uns und altes Wissen ein.

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